Die 700-Kilo-Patienten
Marie-Sophie Fritz betreibt seit drei Jahren eine eigene Tierarztpraxis.
Dabei hat sich die zierliche 30-jährige Niederbayerin auf Rinder spezialisiert
Wenn sie in Arbeitshose, Pulli, Weste und Sicherheitsgummistiefeln einen Kuhstall betritt, erinnert sich Marie-Sophie Fritz an ihre Kindheit. Schon als Dreijährige begleitete sie ihre Großmutter gern, wenn diese ihre Mastkälber inspizierte. Mit 16 Jahren absolvierte Marie-Sophie Fritz erste Praktika in einer Tierklinik und war sich sicher: Sie wollte Veterinärmedizin studieren und sich nicht auf Kleintiere, sondern auf Großtiere spezialisieren. Heute führt die Veterinärin eine eigene Praxis in Falkenberg und betreut mit einer Kollegin zusammen rund 150 Bauernhöfe, auf denen Kühe und Bullen gehalten werden.
Bis zu 1000 Kilometer pro Woche fährt sie, um ihre großen Patienten zu behandeln. Ob eine Lungenentzündung bei einem Kalb, ein Beinbruch bei einem Bullen oder eine Zwillingsgeburt bei einer Kuh, Marie-Sophie Fritz ist in Notfällen auch nachts für ihre Tiere im Einsatz. „Rinder sind faszinierende Tiere“, schwärmt die Veterinärin. „Sie sind sehr soziale Wesen. Wenn sich Kühe mögen, dann putzen sie sich gegenseitig, stupsen sich liebevoll an. Sie sind auch verschmust. Wenn ich in einen Stall komme, kann es passieren, dass eine Kuh hinter mir herläuft, weil sie gestreichelt werden möchte. Da kann es bei 700 Kilo Lebendgewicht schon mal zu einem blauen Fleck bei mir kommen.“
Das Augenmerk liegt auf dem Tierwohl
Doch nicht nur sie hat ein Herz für Rinder. Auch deren Halter. „Ich beobachte immer wieder, dass Landwirte eine emotionale Bindung zu ihren Nutztieren haben.“ Dafür, dass die Tiere gesund sind und auch bleiben, investieren die Landwirte in moderne Technologien und in ärztliche Behandlungen. „Die Tiere sichern die Erträge der Landwirte, aber nur, wenn ihre Tiere fit sind“, erklärt Marie-Sophie Fritz. Melkroboter und Sensoren sind wie Frühwarnsysteme. Denn sie sammeln Informationen über beispielsweise die Bewegung und das Wiederkäuen. „Dadurch werden Veränderungen beim Tier rechtzeitig erkannt, und mögliche Entzündungen können schneller behandelt werden“, sagt die Veterinärin.
Verärgert ist sie über Menschen, die eine ausgeprägte Meinung zum Tierwohl haben, aber selber noch nie auf einem Hof waren. „Diese Leute sind ahnungslos und haben keinen Bezug zur Realität. Wenn es die Landwirtschaft nicht gäbe, würden wir verhungern.“
Doppelte Dokumentationspflicht
Die Tierärztin aus Falkenberg sieht jeden Tag, was hinter den Stalltüren vor sich geht. „Wenn Tiere Schmerzen haben, müssen sie behandelt werden und auch Medikamente erhalten. Alles andere wäre Quälerei. Wir Menschen machen es ja nicht anders.“ Jede Therapie stimmt die Tierärztin individuell auf das Tier ab. „Ich betrachte das Tier ganzheitlich. Und wenn es erforderlich ist, dass ein Rind ein Antibiotikum erhält oder einem Kalb das Bein gegipst werden muss, dann tue ich alles, um ihnen zu helfen.“ Die von ihr verschriebenen Medikamente werden akribisch dokumentiert, und der Antibiotikaeinsatz wird zusätzlich einer offiziellen Stelle gemeldet. Alle Arzneimittel werden dabei von der Veterinärin persönlich verabreicht. „Ich überlasse im Anschluss an eine Behandlung den Landwirten manchmal Medikamente zur Nachbehandlung, die sie in Absprache mit mir ihren Tieren geben.“ Auch die Tierhalter müssen in einem Bestandsbuch schriftlich festhalten, welches Tier wie behandelt wird. Es gibt also eine doppelte Buchführung bei der Behandlung von Nutztieren.
Seit letztem Jahr ist ein Antibiotikamonitoring für Rinder in Kraft getreten. Das heißt: Werden auf einem landwirtschaftlichen Hof mehr Antibiotika als üblich eingesetzt, ist der Landwirt erklärungspflichtig und muss vielleicht sogar sein Stall- und Haltungskonzept überarbeiten. „Grundsätzlich gilt nach einer Medikamentenverschreibung die Einhaltung einer vorgeschriebenen Wartezeit, bevor zum Beispiel die Milch an eine Molkerei geliefert werden kann“, erläutert Marie-Sophie Fritz die Bestimmungen. Nur bei Geflügel gibt es vereinzelt Antibiotika, die null Tage Wartezeit auf das Fleisch haben. „Da bin ich aber etwas skeptisch“, sagt sie ehrlich.
Wenn Tiere Schmerzen haben, müssen sie behandelt werden und auch Medikamente erhalten. Alles andere wäre Quälerei
Die Tränen der Kühe
Auch wenn die Arbeitstage lang sind, die Bürokratie hoch und sogar die Mutter von Marie-Sophie Fritz nicht wirklich froh über die Berufswahl ihrer Tochter ist, weil „ich immer dreckig bin und nach Stall rieche und weil ihr mein Beruf zu gefährlich ist“, ist die junge Niederbayerin Tierärztin aus Überzeugung.
Nur ein Phänomen kann sie sich bis heute nicht erklären: „Wenn ich zu einer kranken Kuh gerufen werde und sie untersuche, rollt dem Tier manchmal im ersten Moment eine Träne aus dem Auge. Ich weiß nicht, ob sie sich freut, dass ich ihr helfe, oder ob sie wegen ihren Schmerzen weint.“