Titelthema

Foto: Biolandhof von Agris

Alles Pampa, oder was?

Sie sind zwischen 20 und 35 Jahre alt und stecken voller Tatendrang. Sechs junge Menschen berichten, warum sie ihre Zukunft auf dem Land sehen

Von wegen einsam und langweilig

Vincent von Agris

Wo kann man mit Kartoffelkanonen ein Wettschießen veranstalten, einen Planwagen bauen oder die Musik so laut man will aufdrehen, ohne dass es jemanden stört?
Für Vincent von Agris gibt es darauf nur eine Antwort: auf dem Land. Schon früher, als er noch ein bischöfliches Internat besuchte, kamen seine Freunde, auch die aus der Stadt, auf seinen elterlichen Biohof. Dort veranstalteten sie Schnitzeljagden oder bastelten in der Werkstatt. Der Stammbaum des 23-Jährigen reicht bis ins Jahr 1262 zurück. Und alle ­Familienmitglieder haben nachweislich sehr ländlich gewohnt, ob am Niederrhein oder in Schlesien. Er will diese Tradition fortsetzen. „Als ich in Soest Agrarwissenschaften studierte, wusste man oft nichts mit der freien Zeit in der Stadt anzufangen, und mir war langweilig. So etwas habe ich auf dem Land gar nicht.“ Auf dem Betrieb mit den Gallowayrindern und den Bentheimer Duroc-Schweinen, zudem einer Ferienwohnung ist immer jemand da, und vor allem gibt es massenhaft zu tun.

„Ich bin Landwirt und Landmensch durch und durch“, sagt Vincent, der Ende des Jahres in dem umgebauten Heuschober des Hofs in eine eigene Wohnung zieht. „Meine Freundin respektiert, dass ich auf dem Hof meiner Eltern leben möchte und diesen doch sehr zeitintensiven Beruf ausübe. Auch an Wochenenden und Feiertagen. Das ist längst nicht selbstverständlich, und daran sind auch schon Beziehungen zu Bruch gegangen“, verrät er. „Mein Vater sagt immer, er habe sich das Land von seinen Kindern geliehen und nicht von seinen Eltern geerbt. Deshalb lässt er mir auch in sämtlichen Bereichen freie Hand, wenn ich etwas Neues oder gänzlich anderes im Betrieb ausprobieren oder anfangen möchte.“ Dennoch ist er froh, dass seine El­tern mit all ihren Erfahrungen noch auf dem Hof mitarbeiten, sodass er auf diesen Wissensschatz zurückgreifen kann.

Alexander Wagner

Bei uns kennt jeder jeden, und wir helfen uns hier gegenseitig

Foto: S. Hasselbach

„Ich bin Ackerbauer vom Herzen her“

„Für mich stand als Kind schon fest, dass ich Landwirt werden möchte. Ich bin Ackerbauer vom Herzen her“, erzählt Alexander Wagner aus Lettweiler, einem 250-Seelen-Dorf in der Nordpfalz. Zunächst absolvierte er eine Winzerlehre mit anschließendem Weinbaustudium in Geisenheim. Jetzt im März schließt er noch ein Fernstudium im Bereich Agrarmanagement ab. Den Ackerbaubetrieb seiner Eltern führt er seit Jahren zusammen mit seinem Vater im Nebenerwerb, dazu noch eine Weinhandlung, die auf weintouristische Angebote spezialisiert ist.

Die Hektik und die Anonymität in einer Stadt sind nichts für mich

Hauptberuflich ist der Amateurfußballer bei der Versicherung Vereinigte Hagel angestellt. „Mein Traum ist es, den familiären Hof hauptberuflich zu führen“, berichtet der 33-Jährige. Dafür beschäftigt er sich aktuell mit betriebswirtschaftlichen Fragen, wie er das realisieren könnte. Auch ein Haus möchten er und seine Frau bauen. „Auf dem Dorf, versteht sich“, sagt er und lacht. Dabei ist er nicht an Lettweiler gebunden. Aber er mag das Landleben. „Die Hektik und die Anonymität in einer Stadt sind nichts für mich. Bei uns kennt jeder jeden, und wir helfen uns hier gegenseitig.“ Um Kraft für den Alltag zu tanken und sein Agrarwissen zu erweitern, reist er zu landwirtschaftlichen Messen und pflegt das Netzwerk mit den AgrarScouts, einem Zusammenschluss von rund 800 jungen Landwirtinnen und Landwirten, den das Forum Moderne Landwirtschaft gegründet hat. „Zu erfahren, wie Landwirtschaft woanders praktiziert wird, das finde ich spannend.“

Marius von Bomhard

Foto: Hof am Mühlenbach

Von München nach
Mecklenburg-Vorpommern

Marius von Bomhard wuchs in Bayerns Landeshauptstadt auf. Er besuchte das Gymnasium und zog mit 17 Jahren nach Wien. Österreichs quirlige Studentenstadt zog ihn mit all den kulturellen Angeboten in den Bann. Hier fühlte er sich fast noch wohler als in München. „Da mein Vater im tiermedizinischen Bereich tätig ist, stand mein beruf­licher Werdegang fest. Entweder werde ich Tierarzt, Jurist oder Landwirt. Ich entschied mich für das Letztere“, erzählt der 29-Jährige.

Schon als Kind machte der studierte Agrarwissenschaftler regelmäßig Ferien in Mecklenburg-Vorpommern, wo sein Vater einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb besaß. Mittlerweile ist aus dem Hof am Mühlenbach in Lodmannshagen ein Biobetrieb mit 800 Rindern, 800 Hektar Land und eigenem Schlachthof geworden. „Ich bin von früh bis spät auf den Beinen. Am Wochenende gehe ich jagen oder fahre mal mit meiner Freundin nach Hamburg, Usedom oder Stralsund.“ Seine Eltern leben ebenfalls auf dem Hof, genau wie seine Freundin, mit der er seit drei Jahren zusammen ist. Marius von Bomhard ist sehr zufrieden mit seinem Leben. Dass er etwas verpassen oder vom Weltgeschehen abgeschnitten sein würde, empfindet er nicht.

Heute lebe ich relativ autark und unbeeinflusst von städtischen Problemen

„Früher war ich ein Stadtmensch. Inzwischen beschäftigen mich Fragen, wie es meinen Rindern geht oder welchen Herausforderungen sich die deutsche Gastronomie stellen muss. Wir sind Direktvermarkter und beliefern viele Restaurants mit unserem Fleisch. Von daher sind wir auch direkt davon betroffen, dass die Mehrwertsteuer in der Gastronomie wieder angehoben wurde.“ Auch mit dem Schutzstatus von Wölfen setzt er sich auseinander. „Unsere Rinder stehen im Sommer auf der Weide. Wir hatten noch keine Risse, aber ich rechne damit“, so von Bomhard. Vor ein paar Monaten reiste er in seine alte Heimat nach München. „Ich fühlte mich ein bisschen wie ein Landei, denn ich kam mit dem U-Bahn-System nicht gut zurecht.“ Zurück in die Stadt zu ziehen käme für ihn nicht mehr infrage. „Heute lebe ich relativ autark und unbeeinflusst von städtischen Problemen in einem angenehmen und selbstbestimmten Umfeld.“

Maria Henkemeier

Ich habe den Hof hier und trage dafür eine Verantwortung, vor der ich nicht weglaufe.

Foto: Privat

Eine Reparatur brachte das Liebesglück

Als ihr Vater vor über acht Jahren starb, übernahmen Maria Henkemeier und ihr Bruder Martin den 30 Hektar großen Familienhof im Nebenerwerb. Hauptberuflich ist die 28-Jährige als Landmaschinenmechatronikerin im Außendienst eines Landmaschinenersatzteil-Vertreibers tätig. Erst vor drei Jahren bezog sie eine eigene Wohnung in einem Dorf bei Paderborn. „Ich fühle mich auf dem Land pudelwohl. Ich genieße die Gemeinschaft, spiele im Verein Trompete und habe hier meine fünf Mädels, mit denen ich viel unternehme.“ Gerade nach dem Tod ihres Vaters erlebte sie eine großartige Hilfsbereitschaft vonseiten der Hofnachbarn. „Ich kann mich voll auf sie verlassen.“

Ich möchte gerne sechs Wochen lang nach Kanada

Und dann ist da noch Henrik, ihr Freund. Ebenfalls Landmaschinenmechatroniker. Auch er kommt von einem Familienhof. „Als die Vorderachse meines Treckers kaputt war, beauftragte ich ein Unternehmen mit der Reparatur, und wir machten den Trecker gemeinsam wieder flott. So lernte ich Henrik kennen. Er ist quasi fürs Flirten mit mir bezahlt worden“, scherzt die Technikerin.

Ihr großer Traum: „Ich möchte gerne sechs Wochen lang nach Kanada, um live mitzuerleben, wie Landwirtschaft dort funktioniert.“ Ihre Umgebung länger zu verlassen, kommt aber nicht infrage. „Ich habe den Hof hier und trage dafür eine Verantwortung, vor der ich nicht weglaufe. Und ich habe meine Freunde und meine Wurzeln hier.“

Marius Ehrismann

„Ich fühle mich hier zugehörig, und ich habe das Ziel, unseren Betrieb zu modernisieren“

Foto: Privat

Hof mit Herzblut

Noch studiert er Agrarwissenschaften an der Universität in Hohen­heim. Doch jedes Wochenende zieht es Marius Ehrismann zurück ins baden-württembergische Königsbach. „Dort helfe ich meinem Vater auf unserem Hof, und ich spiele leidenschaftlich gern Fußball in unserem Verein. Meistens sind am Wochen­ende Spiele“, berichtet der 23-Jährige. Er liebt das Landleben. „Ich fühle mich hier zugehörig, und ich habe das Ziel, unseren Betrieb, in dem sehr viel Herzblut steckt, zu modernisieren.“ Nach dem Studium geht es erst einmal nach Australien. Dort will der Student in einem Agrarbetrieb arbeiten und weitere Erfahrungen im landwirtschaftlichen Bereich sammeln.

Wenn ich eine Freundin habe, muss sie bodenständig sein

„In Kanada war ich auch schon auf einer Farm von Freunden. Sie betreiben die Landwirtschaft ganz anders als wir, weil es in ihrer Gegend nur vier Monate frostfrei ist.“ Und noch eines hat sich Single Marius Ehrismann ganz genau überlegt. „Wenn ich eine Freundin habe, muss sie bodenständig sein und es akzeptieren, dass ich in der Landwirtschaft an einem bestimmten Standort arbeite und garantiert wenig Freizeit haben werde.“

Nina Zingelmann

Ich habe den Hof hier und trage dafür eine Verantwortung, vor der ich nicht weglaufe.

Foto: A. Birkenfeld

Ein Leben ohne Landwirtschaft? Undenkbar  …

In ein paar Monaten schließt Nina Zingelmann ihr Masterstudium in Agrarwirtschaft in Soest ab. Bis dahin muss die 27-Jährige nicht mehr nach Nordrhein-Westfalen zur Fachhochschule fahren. Die Arbeit kann sie im heimischen Trittau bei Hamburg beenden. „Da mein Bruder unseren Hof übernehmen wird, möchte ich in einem Unternehmen aus dem vorgelagerten Bereich tätig werden“, sagt die Studentin aus Schleswig-Holstein. Auch auf dem Familienhof will sie weiter mithelfen. „Sobald ich mein eigenes Geld verdiene, suche ich mir in Trittau eine Wohnung. Der Ort ist so schön und trotz seiner 10 000 Einwohner sehr ländlich geprägt“, schwärmt sie.

Außerdem ist da auch noch der sechs Monate alte Zwergdackel Murmel. „Wenn ich ihn mal nicht mitnehmen kann, bringe ich den Hund zu meinen Eltern auf den Hof und hole ihn abends wieder ab“, hat sie sich überlegt. Nina Zingelmann kann sich ein Leben ohne Landwirtschaft nicht vorstellen, auch wenn ihr Vater den Familienbetrieb an ihren Bruder abtritt.

Bei uns zu Hause wird fast ausschließlich über das Thema Landwirtschaft gesprochen

„Schon als Kind habe ich es genossen, jede Arbeit auf dem Hof mitzumachen und Trecker zu fahren.“ Deshalb engagiert sie sich auch bei den AgrarScouts. Sie möchte sich mit Menschen aus der Landwirtschaft vernetzen und mit Verbrauchern in Kontakt treten. „Bei uns zu Hause wird fast ausschließlich über das Thema Landwirtschaft gesprochen.“ Auch ihr Traummann sollte zumindest landwirtschaftliches Grundverständnis haben. Ein Veganer wäre schwierig …