Von der Bankerin
zur
Bäuerin
Trotz einer vielversprechenden Karriere starteten Urte Schulz-Möllgaard und ihr Mann ein ganz neues Leben – auf dem Lande
Wie jeden Morgen klingelt der Wecker um 3.30 Uhr, auch sonntags. Urte Schulz-Möllgaard aus Wobbenbüll bei Husum ist schon wach. Gerade hat sie ihre kleine Tochter Lotta gestillt. Jetzt ziehen sie und ihr Mann Jörg sich ihre Betriebskleidung an. Ihre Milchkühe warten darauf, gemolken zu werden. Zwei Stunden dauert der Vorgang, der spätnachmittags noch einmal wiederholt wird. „Für mich fühlt es sich wie Me-Time an“, sagt die Mutter dreier Kinder. „Kein Handy klingelt. Stattdessen hören wir Musik und nehmen beim Melkvorgang in aller Ruhe unsere Tiere in Augenschein“, erzählt die studierte Betriebswirtin weiter. Meistens biegt Grüffelo als Erste um die Ecke. „Die Milchkuh gehört zu den ranghöchsten der Herde. Sie gibt den Ton mit an. Die anderen folgen ihr“, erklärt Urte, die noch vor fünf Jahren einen gut dotierten Job in einer Bank bekleidete. Insgesamt leben 350 Tiere inklusive Kälber auf dem nordfriesischen Hof. Das Ehepaar bewirtschaftet 120 Hektar Grün- und 80 Hektar Ackerland für den Futterbau der Kühe und Rinder.
Intelligentes Gesundheitsmanagement verhindert Krankheiten
„Mein Mann und ich haben den Betrieb erst 2019 übernommen. Jörg war Geschäftsführer vom Maschinenring Südholstein. Wir haben beide in der freien Wirtschaft Karriere gemacht, sind auf landwirtschaftlichen Betrieben aufgewachsen, waren aber jeweils nicht in deren Nachfolge vorgesehen. Es war immer unser großer Traum, einen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb zu führen.“ Drei Jahre lang hat das Ehepaar mit sich gerungen. Dann kauften sie den Hof Hahnenkamp an der Nordseeküste. „Die ehemaligen Besitzer Conny und Herwig haben hier Wohnrecht bis zu ihrem Lebensende. Wir haben quasi Oma und Opa mitgekauft“, erzählt die Landwirtin und schmunzelt.
2014 hatten die Vorbesitzer Gebäude wie zum Beispiel das Melkzentrum und den großen Kuhstall neu gebaut. Um das Tierwohl zu erhöhen, entschieden sich die Hofnachfolger, die Anzahl der Tiere zu reduzieren, sodass jede Kuh über eine eigene Liegebox und einen Fressplatz verfügt, auch die jungen Kühe, die ihr erstes Kalb bekommen haben. „Wir führten ein neues Herdenmanagementprogramm ein, das auf künstlicher Intelligenz basiert. Dafür wurde jeder Kuh ein circa zehn Zentimeter kleines Gerät in den Pansen eingesetzt.“ Dieser Sensor bedeutet für das Tier keine Störung. Vielmehr liefert er wichtige Gesundheitsdaten, die per App abrufbar sind. „Von Wiederkauzeiten, Trinkzyklen, Bewegungsaktivität bis hin zur Körpertemperatur oder Wasseraufnahme, das intelligente Programm lernt von den Kühen und erkennt auf diese Weise schon vorab, wenn sich Krankheiten anbahnen, und gibt Warnhinweise“, beschreibt Urte Schulz-Möllgaard die Technologie. Die App auf ihrem Handy zeigt verschiedene Bereiche an, unter anderem Gesundheit, Fütterungsmanagement, Trächtigkeit und Fruchtbarkeit. „Vor jedem Melkdurchgang checke ich diese Gesundheitskacheln von jedem Tier und prüfe, ob es Auffälligkeiten gibt“, sagt die 37-Jährige.
Sollte eine Kuh doch einmal erhöhte Temperatur haben und sich eine Mastitis, eine Euterentzündung, anbahnen, erhält das Tier zwei Tage lang ein Gemisch aus Wasser, Kalzium, Knoblauch und Schmerzmittel. „Der Knoblauch regt das Saufen an. Dadurch wird die Entzündung aus dem Körper gespült, dann muss der Tierarzt der Kuh kein Antibiotikum verschreiben“, erklärt die Landwirtin. „Geht die Wiederkaukurve des Tiers allerdings rapide herunter, und es produziert kaum noch Milch, dann kann es an einem E-Coli-Keim erkrankt sein. Diese Infektion kann tödlich enden und muss dringend mit Antibiotika behandelt werden.“
Wir erfahren einen sehr großen familiären Zusammenhalt, und ich bin glücklich, dass meine Kinder in dieser Umgebung aufwachsen, mit viel Natur und den Tieren.
Urte Schulz-Möllgaard
Weniger Keime durch saubere Umgebung
Damit Umweltkeime erst gar keine Chance haben, säubert und desinfiziert das Ehepaar Ställe und Melkstand täglich sehr akribisch. „Je sauberer die Umgebung der Tiere ist, desto weniger Keime können sich bilden“, erläutert Urte Schulz-Möllgard. Deshalb ist es auch allen Besuchern verboten, unangemeldet die Stallungen zu betreten. „Wir sind da sehr strikt. Dank unseres smarten Gesundheitssystems konnten wir die Antibiotikaeinsätze um 50 Prozent reduzieren.“ Auch Klauenkrankheiten hat das Paar durch eine Klauenschaummatte, die die Tiere jedes Mal nach dem Melkvorgang nutzen müssen, auf zwei Prozent reduziert.
„Ich habe einen Akupunkturkurs für Rinder absolviert, den ich ständig erweitere. Bei einer Stoffwechselerkrankung oder einer Nachgeburt setze ich dem Tier Nadeln. Das funktioniert sehr gut. So behandeln wir unsere Tiere nicht nur prophylaktisch, sondern setzen auch alternative Heilmethoden ein.“
Natürlich ersetzt dies keine Tierarztbesuche. Allein schon nach jeder Kalbung kommt ein Tierarzt alle zwei Wochen auf den Hof und nimmt Gebärmutteruntersuchungen vor. Die Ruhezeit vor der nächsten Besamung beträgt auf dem Hof Hahnenkamp rund 80 Tage und nicht 60 Tage wie sonst üblich.
Käse direkt vom Hof
Alle diese Maßnahmen sowie die regelmäßige Kontrolle des energiereichen, bekömmlichen Futters und die fürsorgliche Betreuung der Herde auch im Bereich Gesundheit sorgen dafür, dass es den Tieren gut geht. „Seit 2019 konnten wir den Herdenschnitt von 9500 Kilo Milch auf 12 000 Kilo steigern, mit Inhaltsstoffen von 4,29 Prozent Fett und 3,65 Prozent Eiweiß“, zieht die Landwirtin freudig Bilanz. Das sind 6000 Liter Milch pro Tag. Ein kleiner Teil davon wird auf dem Hof zu Käse verarbeitet. Ob „Wilde Hilde“, „Dill Dieter“ oder „Feine Grete“: Der Käse wird direkt an umliegende Hotels, Hofläden und Dorfschlachtereien verkauft. „Unser Käse schmeckt nicht wie industriell hergestellter Pappkäse. Er ist zudem weitaus klimafreundlicher produziert, da ihn eine kleine hiesige Meierei verkäst und er nicht aus anderen europäischen Ländern importiert wird. Was nützt uns Biokäse aus Spanien? Allein der Transport ist nicht nachhaltig“, urteilt sie.
Wenn Urte Schulz-Möllgaard nachts nur wenige Stunden zum Schlafen bleiben, fragt sie sich manchmal, ob sie und ihr Mann das Richtige getan haben. Vor allem, weil sie ein Produkt herstellen, von dem sie die Verkaufspreise nicht kennen. „Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten wochenlang und wissen dabei nicht, wie hoch überhaupt Ihr Lohn ist. So ist es bei uns mit den Milchpreisen. Meistens wissen wir nicht, ob wir die Kosten überhaupt wieder reinbekommen, weil uns die Verkaufspreise diktiert und erst nach der Milchanlieferung in der Molkerei genannt werden.“
Dennoch bereut das Ehepaar den Schritt, den Hof übernommen zu haben, nicht. „Wir erfahren einen sehr großen familiären Zusammenhalt, und ich bin glücklich, dass meine Kinder in dieser Umgebung aufwachsen, mit viel Natur und den Tieren.“ Ihre ältere Tochter Ida und ihr Sohn Jonne haben sogar eine eigene Kuh. Sie war das erste Fleckvieh-Kalb, das 2019 nach der Hofübernahme geboren wurde. Seitdem hegen und pflegen sie die Kuh, die sie Kuschel-Plüsch genannt haben.