Der Mann im Mohn
Seit sechs Generationen sind die Klingebiels Ackerbauern in Niedersachsen. Vor zehn Jahren wagte die Familie den Schritt ins Ausland und baut seitdem eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt an
Rund drei Stunden fährt Niklas Klingebiel zu seinem Arbeitsplatz nach Tschechien. Drei bis fünf Tage pro Woche ist der 28-Jährige dort im Einsatz. In der Erntezeit bleibt er ganz in dem Betrieb. Dann kommt ihn seine Frau Viktoria aus Duderstadt besuchen. 2014 übernahm Niklasʼ Familie den ehemaligen Staatsbetrieb, renovierte die heruntergewirtschafteten Gebäude, baute drei Wohnungen aus und stellte ein junges Team von Mitarbeitern ein, organisierte und modernisierte die Arbeitsabläufe.
Thomas Klingebiel, der Seniorchef, kümmert sich um Klingebiels Hof, den Hauptstandort der Familie in Deutschland, wo unter anderem Raps, Mais, Rüben und Kartoffeln angebaut und zudem Spezialitäten produziert werden wie die Eichsfelder Wurstwaren in der Hausschlachterei und Schmand in der eigenen Landmolkerei. Zur Unternehmensgruppe der Familie gehören ein weiterer Hof in Tschechien sowie einer in Polen. „Wenn man als Ackerbauer wachsen möchte, benötigt man Fläche“, erklärt Niklas Klingebiel. In Niedersachsen sei eine Hoferweiterung nicht möglich gewesen.
Mit dem Kauf des tschechischen Hofs erwarben die Klingebiels unter anderem auch die Maschinen und Hallen zur Weiterverarbeitung von Blau- beziehungsweise Backmohn.
„Tschechien ist der größte Mohnproduzent in der EU“, erläutert der junge Landwirt. Rund 30 000 Hektar Mohnflächen gibt es hier, während in Deutschland 800 bis 1000 Hektar angebaut werden. Einer der Gründe sind die höheren Temperaturen, die in Tschechien herrschen. Familie Klingebiel baut auf 200 Hektar Mohn an und erntet 200 Tonnen pro Saison.
Genau wie beim Weizen gibt es auch bei dieser Kulturpflanze einen Sommer- und einen Wintermohn, die im Frühjahr beziehungsweise im August ausgebracht werden. „Nicht ganz einfach ist die Aussaat der extrem kleinen Körner“, berichtet der ausgebildete Landwirtschaftsmeister. Um am Ende nicht zu viele Pflanzen zu haben, werden pro 10 000 Quadratmeter nur 800 Gramm Mohn mit einer Sämaschine ausgesät. Zum Vergleich: Auf einem üblichen Mohnbrötchen befinden sich rund zwei bis drei Gramm Mohn. Die grundsätzliche Behandlung der Kultur wie Düngen und Dreschen ähnelt den Abläufen beim Getreide.
Spannend wird es wieder nach der Ernte: „Mohn ist nicht lange lagerfähig“, sagt Klingebiel. „Wir benötigen eine besondere Belüftung und müssen den Mohn vorher intensiv reinigen. Das ist ein sehr aufwendiges Verfahren, für das wir besondere Maschinen einsetzen wie Siebreiniger, Farb- und Tischausleser.“ Am Ende eines Arbeitstags sind dann rund fünf Tonnen Mohn vollständig gereinigt.
„Da Mohn ein direktes Lebensmittel ist, also unverarbeitet auf Brötchen oder in Mohnkuchen gelangt, kommt er nur streng kontrolliert in den Handel. Allein auf 250 verschiedene Pflanzenschutzmittel wird er getestet, zudem auf Cadmium und andere Schwermetalle, die sich im Boden befinden könnten“, berichtet Klingebiel. Die Proben werden in staatlich zugelassenen Laboren genommen. Auch der Morphingehalt muss logischerweise niedrig sein. Eine Analyse pro Feld kostet rund 1000 Euro. Die Ergebnisse erhalten die Mohnproduzenten nach circa 20 bis 30 Tagen.
Das Wichtigste für all unsere Pläne sind gute Mitarbeiter. Wir sind jetzt ein Team von 35 Personen. Ohne sie würde es nicht funktionieren.
Niklas Klingebiel
Der Mohnanbau ist ein Nischenmarkt. Wenn zu viel produziert wird, bricht der Preis ein, und die Ernte ist unverkäuflich. Auch in Niedersachsen hat Familie Klingebiel schon einmal Mohn angebaut. Aber der Ertrag sei wegen der fehlenden Sonnentage rund 30 Prozent geringer gewesen als in Tschechien. Noch ein Unterschied: In Deutschland benötigt man für den Mohnanbau eine Genehmigung von der Bundesopiumstelle in Bonn, während man in Tschechien nur an offizieller Stelle anmelden muss, wo man Mohn anbaut.
Auch in Zukunft wollen die Klingebiels flächenmäßig weiter wachsen und sich an neue Kulturen wagen. „Doch das Wichtigste für all unsere Pläne sind gute Mitarbeiter. Wir sind jetzt ein Team von 35 Personen. Ohne sie würde es nicht funktionieren“, sagt Klingebiel.