Titelthema

Foto: Marie Hoffmann

Agrar-Influencer

Wie junge Landwirtinnen und Landwirte uns mit Blogs, Videos, Podcasts oder Selfies an ihrem Alltag teilhaben lassen

„Landwirtschaft geht uns alle an“

Heimatverbunden, wissbegierig, tiefgehend: Agrar-Influencerin Marie Hoffmann

Marie Hoffmann

Über 700 000 Nutzer verfolgen regelmäßig den Instagram-Auftritt von Marie Hoffmann aus dem Lippetal. Auf den Social-Media-Kanälen postet die 27-Jährige fast täglich Erklär- und Textvideos aus der modernen Landwirtschaft.

Ein Schüler schrieb ihr neulich, dass er jeden Tag viele Stunden aus Langeweile im Internet verbringen würde und er deshalb manchmal ein schlechtes Gewissen habe. Aber seitdem er ihre Beiträge über die Landwirtschaft verfolgt, weiß er, dass er seine Zeit nicht länger vergeudet. Vielmehr möchte er jetzt Landwirt werden, erzählt Marie Hoffmann und freut sich. Sie ist eine der bekanntesten Agrar-Influencerinnen Deutschlands. Schon bald wird sie die Eine-Million-Nutzer-Grenze überschreiten.

Wenn man die studierte Agrarwissenschaftlerin ansieht, würde man erwarten, dass diese junge Frau Inhalte für die Bereiche Beauty, Mode oder Fitness auf Instagram postet, aber weit gefehlt. Shoppen und Besuche im Kosmetiksalon gehören so gar nicht in die Welt von Marie Hoffmann. Vielmehr hat die gebürtige Nordrhein-Westfälin schon mit elf Jahren ihre Liebe zur Landwirtschaft entdeckt. Gemeinsam mit ihrem pensionierten Großvater Heinrich besuchte sie häufig seinen ehemaligen Arbeitsplatz, Haus Düsse, das Versuchs- und Bildungszentrum der Landwirtschaftskammer NRW. Schon damals hat Marie Hoffmann beim Heuen geholfen, Schweine versorgt und später Praktika auf landwirtschaftlichen Betrieben absolviert, auch im Ausland. Einen Bauernhof hat ihre Familie nie besessen. Ihr Vater ist Kaufmann, ihre Mutter Lehrerin.

„Die freiwilligen Tätigkeiten auf den landwirtschaftlichen Betrieben und die Besuche mit meinem Opa auf Haus Düsse haben mich geprägt. Deshalb entschied ich mich nach dem Abitur, Agrar­wissenschaften in Soest zu studieren.“

Landwirtschaft ist die Basis unseres Lebens

Zusammenhänge erklären

Je tiefer sie in die wissenschaftlichen Aspekte der Landwirtschaft eintauchte, desto mehr erkannte sie, dass eine große Unwissenheit unter den Verbrauchern besteht und diese viele Zusammenhänge gar nicht kennen würden. Stereotypisch würden alle Bauern in eine Schublade gesteckt. „Dabei geht Landwirtschaft uns alle an. Sie ist die Basis unseres Lebens“, sagt die Agrar-Influencerin. Egal ob Artenschutz oder Umweltverschmutzung, die meisten Verbraucher und Medien geben den Landwirten eine Mitschuld am Insektensterben und am Klimawandel. „Dabei erkennt die Gesellschaft die Potenziale nicht, die gerade die Landwirtschaft hat, um diesen Herausforderungen zu begegnen“, argumentiert die Agrarwissenschaftlerin.

Noch während des Studiums stellte Marie Hoffmann erste Erklärbeiträge her und postete diese auf Instagram. Von einer umweltfreundlichen Bodenbearbeitung, der Steigerung von Artenvielfalt bis hin zur Kitzrettung reichen ihre gut recherchierten und verständlichen Videos. Aber auch kritischen Themen wie Trennung von Kuh und Kalb, Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis hin zur Wolfsthematik widmet sich die Landwirtin, die mittlerweile etwa alle drei Tage ein neues Video auf Instagram postet und fast täglich ein Foto platziert.

Wissenschaftlich ausgewertet

Über 700 000 Menschen erreicht Marie Hoffmann inzwischen mit ihren Veröffentlichungen rund um die Landwirtschaft. Darunter 30 Prozent Follower, die überhaupt gar keinen Bezug zur Branche haben, rund 30 Prozent, die im Agrarwesen tätig sind, und 30 Prozent, die zum Beispiel in Hofläden arbeiten und in irgendeiner Form Berührung mit dem Bereich haben. „Für meine Masterarbeit habe ich meine Community genau evaluiert und wissenschaftlich ausgewertet“, erzählt die passionierte Reiterin.

Wir nutzen unseren Hof, um technolo­gische Innovationen aus­zuprobieren und wissenschaft­liche Projekte durch­zuführen

Sachlich und respektvoll

Nach einem Praktikum im Bundestag 2022 erweiterte sich ihr Netzwerk nochmals drastisch. „Inzwischen werde ich vielfach von der Politik angesprochen und halte Vorträge. Wir diskutieren auf sachlicher und respektvoller Ebene. Das gilt genauso für meine Follower auf Instagram“, ergänzt Marie, die neben ihrer Tätigkeit als Influencerin ganz praxisnah gemeinsam mit einem Partner einen landwirtschaftlichen Betrieb leitet. „Wir bearbeiten eine Ackerbaufläche von 120 Hektar, bauen Grünspargel an, wollen künftig noch Legehennen und Freilandschweine halten. Wir nutzen unseren Hof, um technologische Innovationen auszuprobieren und wissenschaftliche Projekte durchzuführen“, beschreibt sie ihr Engagement. Aktuell handelt es sich um ein Agri-Fotovoltaik-Konzept mit der Fachhochschule Südwestfalen für den Gemüse- und Obstanbau, wobei die Pflanzen von den Solarpanels überdacht werden. „Wir haben davor zum Beispiel schon eine Drohnenaussaat und verschiedene Feldroboter getestet“, erzählt die Landwirtin weiter.

Zurzeit schreibt sie an ihrer Doktorarbeit. „Ich habe das Gefühl, immer noch nicht genug über die Landwirtschaft zu wissen, deshalb reise ich viel herum, schaue mir Betriebe an, auf denen Neues ausprobiert wird, auch im Ausland.“ Und nennt gleich Beispiele: „In den USA gibt es einen hohen Standard bei der Tiergesundheit, aber nicht bei der Tierhaltung. So werden dort nicht nur Schweineschwänze kupiert, sondern auch die von Kühen. Oder Brasilien: Dort hat man wegen der starken Winde tolle Konzepte für die Direktsaat entwickelt. So etwas interessiert mich sehr“, schwärmt die Influencerin.

Sie könnte sich gut vorstellen, als Dozentin tätig zu sein. „Meine Leidenschaft gehört der Landwirtschaft. Ich betreibe jetzt schon Aufklärungsarbeit über Instagram. An einer Hochschule könnte ich mein Wissen an die Agrarwissenschaftler von morgen weitergeben.“ Eine politische Karriere strebe die Influencerin aktuell nicht an. „In der Politik werden praxisferne und verklausulierte Entscheidungen gefällt. Das beweist allein das Tierschutzgesetz, das teils an der Praxis vorbeigeht. Die Konsequenz wird sein, dass sich die Tierhaltung ins Ausland verlagert, wo Standards für Tierwohl und Kontrollen bei Weitem nicht so hoch sind wie bei uns.“

Marie Hoffmann lebt Landwirtschaft – privat und beruflich. Sie steckt voller Pläne und Wissensdrang. Bei ihren vielen Aktivitäten fragt man sich, ob sie noch Zeit für sich findet. „Ja“, sagt sie. Sie liebe es, Klavier zu spielen, mit ihren Freundinnen essen oder aufs Schützenfest zu gehen und mit ihrem einjährigen Dackel Asta zu spielen. Heiratsanträge bekomme sie auch. „Aus der indischen Community. Das ist unter uns Influencerinnen schon ein Running Gag, weil die indischen Männer immer fragen ‚Will you marry me‘?“ Doch diese Frage interessiert sie nicht. Sie antwortet lieber darauf, welches Nutztier ihr am liebsten ist: „Das Schwein, denn Schweine sind hochintelligente Tiere.“

Lars Peters

Innerhalb von wenigen Wochen hatte ich 20 000 Follower

Foto: Catharina Ketzenberg

Mit Rave-Musik und Paula aufs Feld

Die Deutsche Landwirtschafts-­Gesellschaft (DLG) kürte ihn 2023 zum „Best YouTuber“: Biolandwirt Lars Peters nimmt seine digitale Fangemeinde seit zwei Jahren mit zur Arbeit, an guten und an schlechten Tagen

Bis zwei Uhr morgens hat Lars Peters sein neues Video geschnitten und mit einem coolen Rave-Song der Band Outsiders & De Kraaien unterlegt. Später will er es auf YouTube hochladen. Doch zuerst muss er noch „eine Mütze Schlaf nehmen“, um sich dann ab 7.30 Uhr den Aufgaben auf dem Hof zu widmen, den seine Familie seit zwölf Generationen betreibt und den Lars’ Vater schon vor über 35 Jahren zu einem Biohof umgestaltete. 500 Hektar Ackerfläche, Grünland und eine Agro-Biogasanlage gehören zu dem Betrieb, auf dem unter anderem Dinkel, kontrolliert glutenfreier Hafer, Sojabohnen, Kartoffeln und Mais angebaut werden.

Ich glaube, ich bin in Deutschland der einzige Biolandwirt-Influencer, der seinen Alltag mit allen Höhen und Tiefen zeigt. Das findet die Community authentisch

Der Zufall hat geholfen

Gutgelaunt setzt sich der 29-Jährige an diesem Morgen auf den Traktor. Mit dabei wie so oft seine Hündin Paula. Peters rückt seine verspiegelte XXL-Sonnenbrille zurecht, überprüft noch einmal die Kamera in der Fahrerkabine, mit der er seine Videos aufzeichnet, und: „Looooohhhoooos geht’s!“ ruft er. Heute ist er mit der Hacke unterwegs, mit der er das Maisfeld bearbeiten will.

„Vor zwei Jahren habe ich aus Jux ein Video von meinem Arbeitsalltag auf TikTok gestellt“, erzählt der Landwirt und staatlich geprüfte Betriebswirt für Unternehmensführung. Er nahm an, dass sich niemand für Landwirtschaft interessieren würde. Doch weit gefehlt: „Innerhalb von wenigen Wochen hatte ich 20 000 Follower.“

Den Instagram-Beitrag „Ja, wie sieht denn ein Landwirt aus?“ klickten gleich 2,5 Millionen Nutzer an. Seit April 2023 fokussiert sich der Nemitzer auf den YouTube-Kanal. Er lässt seine Follower an seinem Arbeitsalltag teilnehmen und zeigt ihnen auch, wenn ein Feld durch Starkregen unter Wasser steht oder ihm während der Fahrt ein Bolzen bricht, wenn seine Oma den neuen Kärcher inspiziert oder wie es auf dem Hof aussah, nachdem eine Diebesbande nachts eingebrochen war und Maschinen im Wert von 50 000 Euro gestohlen hatte.

„Ich glaube, ich bin in Deutschland der einzige Biolandwirt-Influencer, der seinen Alltag mit allen Höhen und Tiefen zeigt. Das findet die Community authentisch. Bei YouTube habe ich eine Like-Quote von 99 Prozent“, erklärt Peters und strahlt vor Freude.

Ich möchte einen Onlineshop aufbauen und darüber von T-Shirts bis zu Kartoffeln alles Mögliche verkaufen.

Influencer als „Erklärbär

Der Landwirt dreht aber auch Beiträge, um seine vielen Fans, die nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben, über unterschiedliche Bodenbearbeitungskonzepte oder den Pflanzenschutzmitteleinsatz bei Biokartoffeln mit genauer Mengenangabe aufzuklären. Er nennt diese Videos „Erklärbär-Beiträge“. Transparenz und Offenheit seien wichtig, sagt er. So beschreibt er auch, wie schwierig es ist, heutzutage beispielsweise Biogetreide oder -kartoffeln zu verkaufen: „Der Markt ist überfüllt mit Ökoprodukten. Die Verbraucher in Deutschland sind immer noch nicht bereit, mehr zu zahlen. Wir sind froh, dass wir über große Hallen verfügen, die wir als Lager nutzen können.“ Die Regierung würde Bio zwar extrem fördern, aber der Absatzmarkt sei „leider nicht richtig geregelt“, so Lars Peters. Trotzdem kennt er keine Existenzängste. „Meine Eltern haben unseren Hof gut und solide aufgestellt“, sagt er. Dafür ist er ihnen dankbar.

Lars Peters will auch zukünftig als Influencer weitermachen. Er hat Spaß daran, und auch der Betrieb profitiert von seiner Bekanntheit. „Firmen stellen mir modernste Maschinen zum Testen zur Verfügung, und das gleich für eine komplette Saison und nicht nur für zwei Tage, wie sonst üblich.“

Die nächste Geschäftsidee hat Lars Peters auch schon entwickelt. „Ich möchte einen Onlineshop aufbauen und darüber von T-Shirts bis zu Kartoffeln alles Mögliche verkaufen.“ Ein Hofladen lohnt sich in dem 100-Seelen-Dorf, in dem er lebt, nicht. „Aber meine Community ist hoffentlich an unseren Produkten interessiert.“

Maja Mogwitz

Foto: Luisa Müller | NDR

Sind Sie auch
ein Hekti?

Maja Mogwitz moderiert zwei Podcasts, darunter einen für den NDR. Sie ist selbstständige Social-Media-Kommunikations­expertin, Herzblut­landwirtin und Agrar-Weltenbummlerin

Sind Landwirte Millionäre? Ist Bio wirklich besser? Sind Bauern schuld am Klimawandel? Diese und andere freche Fragen stellt der Verbraucher und Radio-Moderator Andreas Kuhlage alle zwei Wochen seiner Co-Podcasterin Maja Mogwitz in der Sendung „63 Hektar“, dem Landwirtschaftspodcast von NDR Niedersachsen, welcher auch in der ARD Audiothek abrufbar ist.

In den Folgen sprechen der gebürtige Rostocker und die studierte Agrarwissenschaftlerin aus Niedersachsen über landwirtschaftliche Themen, stellen Landwirte vor, die coole Geschichten zu erzählen haben, beispielsweise über die Produktion von Popcornmais. Podcasterin Maja erklärt Fachbegriffe wie „Schmiernippel“. Hier die Erklärung: Das ist eine Bezeichnung aus der Landtechnik für einen Zugang, in den Fett hineingepresst wird, um bewegliche Teile in den Maschinen zu schmieren.

Über 120 000 Hörer verfolgen die 40 Minuten langen Podcasts, die seit über einem Jahr beim NDR ausgestrahlt werden. Ihre Fans nennen sich „Hektis“. Diese senden zum Beispiel Bilder von Feldern und bringen sich aktiv mit ein. Immer respektvoll und wohlwollend.

Ihren zweiten Podcast „Jung und Landwirtin“ veröffentlicht die 31-Jährige zweimal pro Monat. Hierin geht es um fachspezifische Fragen zu nachhaltigem Ackerbau oder zur Hofübergabe.

Eines habe ich auf meiner Reise gelernt: Egal auf welchem Hof ich war, überall in der Landwirtschaft wird schwer und viel ­gearbeitet

Vorbereitung auf Hofübernahme

Letzteres ist ein Thema, das die junge Landwirtin ganz persönlich beschäftigt. „In ein oder zwei Jahren werde ich bei uns die Hofnachfolge antreten. Vorher werde ich noch entsprechend eingearbeitet“, erzählt Maja Mogwitz. Die Familie setzt auf Frauenpower, denn schon ihre Oma und ihre Mutter haben den Hof geführt, einen Ackerbaubetrieb, auf dem unter anderem Zuckerrüben, Mais, Dinkel, Raps und Weizen angebaut werden.

„Noch lebe ich in Hamburg und arbeite selbstständig im Bereich Agrarkommunikation“, sagt die Podcasterin. Ihre Erfahrungen in der Produktion von Social-Media-Beiträgen hat die Agrarwissenschaftlerin nach ihrem Studium als Praktikantin beim Forum Moderne Landwirtschaft in Berlin gesammelt. „Mich hat interessiert, wie und was Menschen über die Landwirtschaft denken“, erklärt sie. Nach dem Praktikum blieb sie noch weitere eineinhalb Jahre beim Forum Moderne Landwirtschaft und war mitverantwortlich für die Facebook- und Instagram-Beiträge des Vereins.

Auf den Berlinaufenthalt folgte eine Agrar-Weltreise. In sieben Monaten besuchte die Weltenbummlerin sieben Länder und lebte dort auf landwirtschaftlichen Betrieben. Auf den Philippinen auf einer ein Hektar kleinen Farm, wo Salat und Kräuter angebaut und acht Schweine gehalten wurden. Die Schweine wurden an Hochzeitsgesellschaften verkauft. In Chile arbeitete sie auf einem Kartoffelhof. „Eines habe ich auf meiner Reise gelernt: Egal auf welchem Hof ich war, überall in der Landwirtschaft wird schwer und viel gearbeitet.“

Doch das schreckt Maja Mogwitz überhaupt nicht ab. Sie ist von klein auf eng mit der Landwirtschaft verbunden und freut sich darauf, eines Tages den elterlichen Hof zu übernehmen. „Wir haben einen großen Betrieb in der Nähe von Hannover. Drum herum sind Pferdekoppeln und viele Felder. Es ist unglaublich idyllisch dort.“ Einen festen Begleiter hat sie schon: ihren Hund Juri Löw, den sie in Griechenland gerettet hat.